The Flying Barkeeper - kein Alkohol in der Schwangerschaft - Bar-Etiquette

Alkohol in der Schwangerschaft

Alkohol in der Schwangerschaft

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“2x Planters Punch bitte, aber einmal mit weniger Alkohol, meine Frau ist schwanger!”

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“Ich bin in der achten Woche, aber das dürfen die anderen vor der 12. auf keinen Fall erfahren, also mix mir bitte auch einen sonst wundern die sich noch.”

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“Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren.”

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“Die Omma hat immer gesagt ein Gläschen im Monat soll man, nicht mehr aber auch nicht weniger. Hat sie ja auch nicht anders gemacht.”

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“Der eine Cocktail kann ja nicht schaden!”

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“Ich bin jetzt im 8. Monat und habe bisher komplett auf Alkohol verzichtet, da kann man bei diesem Anlass heute ja auch mal eine kleine Ausnahme machen.”

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“Ja in 2 Tagen ist es soweit, aber da rührt sich noch nichts. Mit einem Cocktail können wir ihm vielleicht etwas auf die Sprünge helfen.”

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“Wir sind bereits 3 Tage überfällig, aber einleiten lassen kommt nicht in Frage. Wehen kann man auch ganz natürlich mit ein, zwei Cocktails anregen hab ich gehört.”

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“Ja ich stille noch, aber wenn ich einen Cocktail getrunken habe schläft er besser.”

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(…)

Soviel erstmal aus der Welt der Geister, Feen und Mythen. Nee ganz im Ernst, das sind alles Sätze, die wir ganz ohne Spaß so oder so ähnlich im Laufe der Zeit an unserer Bar wirklich schon gehört haben. Natürlich ist der versierte Barkeeper durchaus geneigt dem Gast grundsätzlich viel Raum für seine Meinungen zu lassen. Niemand gesellt sich freiwillig an eine Bar um sich direkt erstmal eines Besseren belehren zu lassen. Egal wie abstruss der Eindruck für den Barkeeper im ersten Moment auch sein möge, der beratungsresistente Gast erwartet natürlich immer (und das zurecht), dass ihm an einer Bar erstmal Respekt entgegengebracht wird. Zumindest solange er sich nicht völlig daneben benimmt und andere Gäste vergrault.

So kommt es vor, dass sich dem aufmerksamen Barkeeper von Zeit zu Zeit ganz unaufgefordert auch schonmal so manch eine unvermutete Untiefe menschlicher Abgründigkeit auftut. Besonders überraschend ist hier immer wieder wer sich dann plötzlich so alles als ausgewiesener Experte des Fachs entpuppt und die erstaunlich hohe Konzentration sogenannter Experten, die sich plötzlich um so eine Cocktailbar scharen kann.

Dem gegenüber stehen natürlich nichts als die blanken Fakten und das ist in erster Linie, dass die Alkoholembryopathie eine der häufigsten angeborenen Schädigungen neben Morbus Down und Verschlussstörungen des Neuralrohrs ist (Feuerlein/Küfner/Soyka 1998). In der westlichen Welt liegt die jährliche Inzidenz bei durchschnittlich einem Fall pro 1000 Lebendgeburten. Damit stellt das Vollbild der Alkoholembryopathie etwa 30 Jahre nach seiner Erstbeschreibung zusammen mit dem Down-Syndrom (1:833) die häufigste Ursache für eine angeborene mentale Retardierung dar, wäre jedoch im Gegensatz zur Trisomie 21 vollständig verhinderbar (Abel/Hannigan 1995; Canadian Center on Substance Abuse 1996; Spohr 1997).

Jede vierte Frau in Deutschland trinkt Alkohol in der Schwangerschaft

Die Auswirkungen und Folgen des Alkohols für den Fötus werden unter dem Begriff “Fetale Alkoholspektrum-Störung” (Fetal Alcohol Spectrum Disorder =FASD) zusammengefasst. In einigen Ländern konsumieren mehr als 45% der Frauen während der Schwangerschaft Alkohol, weltweit 10 von 100 Frauen. In Deutschland sind es im Schnitt sogar 26 von hundert Frauen – also mehr als jede Vierte. Das ist das Ergebnis der ersten weltweiten Studie zum Trinkverhalten in der Schwangerschaft und den gesundheitlichen Folgen für das Kind. Im Centre of Addiction and Mental Health in Toronto wurden die Daten aus fast 400 Studien ausgewertet. Erfasst wurde jeglicher Alkoholkonsum von Schwangeren – egal in welcher Menge. Fälle, in denen die Frauen noch nicht von ihrer Schwangerschaft wussten, rechneten die Forscher wenn möglich heraus. Zudem werteten die Wissenschaftler aus, wie häufig Trinken in der Schwangerschaft zu schweren Gesundheitsschäden beim Kind führt.

Eine Meta-Analyse im LANCET (2015; doi: /10.1016/S0140-6736(15)01345-8) hat kürzlich 428 Krankheitszeichen für fetale Alkoholspektrumstörungen aufgelistet. Es gilt als erwiesen, dass ein Alkoholkonsum insbesondere in der Frühschwangerschaft zu lebenslangen Schäden beim Kind führen kann. Im Extremfall eines fetalen Alkohol­syndroms (FAS) ist der Schaden vielen Kindern auf den ersten Blick anzusehen. Zu den fazialen Auffälligkeiten gehört eine kurze Lidspalte, ein verstrichenes Philtrum und eine schmale Oberlippe. Die Kinder sind zu klein und zu leicht für ihr Alter und der Intelligenzquotient ist vermin­dert.

In Deutschland sollen jedes Jahr etwa 2.000 Kinder mit FAS geboren werden. Leichtere Schäden, zusammengefasst unter FASD, sind schwerer zu erkennen. Experten schätzen, dass in Deutschland rund 10.000 Kinder betroffen sind.

Gerade Frauen mit höherem Bildungs- und Sozialstatus sind betroffen

Auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler weist darauf hin, dass FASD weiter verbreitet ist als viele denken: „Durchschnittlich ist in jeder Schulklasse statistisch gesehen ein Kind betroffen“. Dabei ist laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besonders bemerkenswert, dass auch wenn Rauchen und Alkohol in sozial schlechter gestellten Schichten normalerweise eine größere Rolle spielen, trotzdem werdende Mütter mit einem höheren Bildungs- und Sozialstatus signifikant eher dazu neigen, gelegentlich Alkohol zu trinken und den Alkoholkonsum in allen Stadien der Schwangerschaft zu verharmlosen.

Laut Auswertung der Forscher leben 15 von 10.000 Menschen weltweit mit den Folgen des Alkoholkonsums ihrer Mutter während der Schwangerschaft. Das sind bei einer Weltbevölkerung von mehr als 7,5 Milliarden aktuell fast 12 Millionen Menschen. Der europaweite Durchschnitt liegt sogar bei 37. In Deutschland sind laut Auswertung gut 38 von 10.000 Menschen vom FAS betroffen. Zum Vergleich: Das Down-Syndrom, die häufigste Chromosomenstörung bei Neugeborenen, betrifft 10 bis 20 unter 10.000 Säuglingen und ist damit in vielen Regionen der Erde deutlich seltener als Alkoholschäden.

Leider decken sich diese Zahlen und Statistiken auffallend mit unseren eigenen Beobachtungen der vergangenen Jahre. Und hier ist der Punkt, an dem wir als Barkeeper auch teilweise eine gewisse Mitverantwortung tragen. So lassen wir uns schon allein aus der Tätigkeitsbeschreibung unseres Berufs heraus gern zum Komplizen Ihres persönlichen Rauscherlebens machen. Wir haben einen “Wohlfühlauftrag”, den wir wenn wir gut sind bedingungslos erfüllen. Gleichzeitig bedeutet das aber längst noch nicht, dass wir uns auch auf die Mittäterschaft bei der Beeinflussung Ihres Nachwuchses einlassen müssen.

“Nee, nee ist schon Ok, ich bin der Vater! (…)”

Und so habe ich die Bestellung des Herren, der 2x Planters Punch haben wollte, einen davon mit weniger Alkohol für seine schwangere Frau selbstverständlich damit beantwortet, indem ich ihm vorgeschlagen habe, dass ich für seine schwangere Frau ja auch einen sehr leckeren alkoholfreien Cocktail mixen könnte. Umso mehr hat mich dann seine Antwort erstaunt:

“Nee, nee ist schon Ok, ich bin der Vater! Wenn wir Cocktails trinken, trinken wir immer Planters Punch.”

Wie eingangs schon angesprochen liegt es mir als Barkeeper fern Versuche zu unternehmen auf die Lebensführung der Gäste einzuwirken, weil ich mir dessen natürlich völlig bewusst bin, dass sie mit ihrem Anliegen dann doch eher beim Hausarzt vorsprechen würden als an meiner Cocktailbar. Mindestens so sicher wie sie bei ihrem nächsten Arztbesuch wahrscheinlich keine Bloody Mary oder dergleichen anstelle einer Diagnose serviert bekommen möchten.

Dennoch beinhaltet dieser Wohlfühlauftrag, den ein Barkeeper von seinen Gästen mit ihrer Bestellung empfängt eben nicht die Misshandlung Dritter und erst recht keiner Minderjährigen, selbst wenn es ihre eigenen Kinder sind. Und wenn sich die Frau des erwähnten Gastes am Ende des Tages darüber gewundert hat, dass der Planters Punch diesmal gar nicht “wirkt” so habe ich zumindest mit dem ruhigen Gewissen ins Bett gehen können eben kein Mitverantwortlicher der oben angeführten Statistiken zu sein. Und das bin ich nicht nur Ihnen sondern auch mir selbst schuldig und daher nenne ich das meine Bar-Etiquette.

In diesem Sinne hoffe ich Sie bald möglichst “unschwanger” an meiner Bar auf einen Drink begrüssen zu dürfen oder eben auf einen meiner fantastischen alkoholfreien Cocktails. Ganz nebenbei gesagt ist doch gerade so eine Schwangerschaft die allerbeste Gelegenheit sich endlich mal quer durch die ‘Virgins’-Cocktailkarte zu probieren, wenn man sonst schon eher einen Bogen darum gemacht hat.

So wünsche ich Ihnen ein herzliches

Shake well,

Alexander Brennecke,

The Flying Barkeeper

 

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